Regionale Bildungskonferenz der Digitalen Bildungsregion Landkreis Neu-Ulm befasst sich mit der Corona-Krise und ihren Folgen
Die Pandemie – und was dagegen unternommen wurde und wird – hat Spuren in unserer Gesellschaft hinterlassen. Besonders Kinder und Jugendliche brauchen Hilfe und Unterstützung. Das wurde bei der 8. Regionalen Bildungskonferenz der Digitalen Bildungsregion Landkreis Neu-Ulm deutlich. Rund 50 Bildungsakteurinnen und -akteure befassten sich im Landratsamt mit dem Thema: „Die Corona-Krise und ihre Folgen“. Sonja Seger-Scheib, die Bildungsbeauftragte des Landkreises, organisierte und führte durch die rund zweistündige Veranstaltung.
Zusammengefasst ging es um zwei ebenso wichtige wie aktuelle Fragen. Erstens: Welchen Einfluss haben die vergangenen zwei Jahre auf die jungen Menschen in unserem Landkreis, was hat die Pandemie bei ihnen ausgelöst? Zweitens: Was folgt daraus für die Zukunft, wie sollten wir reagieren?
Sonja Seger-Scheib, Prof. Dr. Julia Kormann (Vizepräsidentin der Hochschule Neu-Ulm / HNU) und Verena Späth (Pädagogin beim Kreisjugendring Neu-Ulm) lieferten die Diagnosen. Sie berichteten über drei Studien zu den Erfahrungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit der Infektionswelle.
Gerade in dem Alter, in dem sich junge Menschen für gewöhnlich von den Eltern abnabeln, bewirkte Corona, dass sie oft mehr Zeit im Elternhaus verbringen mussten als ihnen lieb war. Dabei, so erläuterte Sonja Seger-Scheib, sei der Kontakt zu Gleichaltrigen für Jugendliche jedoch enorm wichtig, etwa um Freundschaften fürs Leben zu knüpfen. Das sei in den vergangen zwei Jahren aber nur in sehr beschränktem Maße möglich gewesen. Deshalb, so Seger-Scheib, sei es in Zukunft wichtig, mehr Freiräume zu schaffen, um die Jugendphase ausleben zu können.
Professorin Kormann berichtete aus dem 1. University Health Report an der Hochschule Neu-Ulm. Demnach gab fast die Hälfte der Studierenden an, sie hätten ein „hohes Stresserleben“, ein Drittel sahen einen „Bedeutungsverlust des eigenen Tuns“ und ein Viertel führte an, sie bemerkten an sich Angststörungen oder Symptome einer Depression. „Das ist schockierend“, sagte die Hochschullehrerin. Die HNU reagiert darauf mit einem Bündel an Gegenmaßnahmen, wie zum Beispiel einem Workshop über das Glücklichsein.
Weitere Erscheinungen, die Corona bei jungen Menschen auslöste, sind Langeweile, Einsamkeit und Wut. Davon berichtete Verena Späth vom Kreisjugendring. Als frustrierend empfanden die Jugendlichen, dass sie nicht mehr „raus“ durften und sich nicht mehr mit Freuden treffen konnten. „Sie fühlten sich zu Hause gefangen“, zitierte Späth aus dem 228-seitigen Buch „Jetzt sprechen wir! – Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene berichten von ihren Erfahrungen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie“, das der Kreisjugendring herausgegeben hat.
So weit die Diagnosen. Und wie steht es mit den Therapievorschlägen?
In einer abschließenden Podiumsdiskussion, die Sonja Seger-Scheib moderierte, sprachen darüber: Dr. Ansgar Batzner (Fachlicher Leiter des Staatlichen Schulamts Neu-Ulm), Prof. Dr. Julia Kormann (HNU), Kerstin Lutz (Leiterin des Fachbereichs „Schule, Kindergarten, Sport und Kultur“ im Landratsamt Neu-Ulm) sowie Alexander Vees (Schulsozialarbeiter der Berufsschule Illertissen).
Dr. Batzner vertrat die Auffassung, unsere Welt stecke nicht nur in einer temporären Krise, sondern in einem epochalen Wandel. Dieser sei nur mit der Zeit der Renaissance und Reformation (um 1500), in der Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand, der Französischen Revolution (1789) und dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit (um 1945) vergleichbar. „Unsere Welt ändert sich fundamental. Wir erleben einen Zusammenbruch aller Verlässlichkeiten“, sagte Dr. Batzner. Um dieser Herausforderung gewachsen zu sein, bräuchten wir: Resilienz, Flexibilität, Kreativität und Selbstwirksamkeit. Lehrkräfte und alle anderen Bildungsakteure seien angehalten, der jungen Generation Optimismus zu vermitteln: „Ihr seid wichtig, ich könnt etwas.“
Dazu müssten Lehrende wie Lernende eine „neue Interaktions- und Fehlerkultur“ leben, in der man sich gegenseitig helfe und Partizipation ermögliche, um so unsere Demokratie zu bewahren, meinte Professorin Kormann. Dafür brauche man „neues Handwerkszeug“, für das psychische und körperliche Gesundheit Voraussetzungen seien.
Kerstin Lutz wies darauf hin, dass die Bereitschaft bei der Bevölkerung, sich quasi lebenslang auf ehrenamtliches Engagement einzulassen, infolge der Pandemie weiter gesunken sei. Darauf müsse man reagieren. Ehrenamtliche Tätigkeiten sollen vermehrt projektbezogen und zeitlich beschränkt angeboten werden. Dazu soll unter anderem die Freiwilligenagentur „Hand in Hand“ beitragen. Diese wird im Landkreis seit kurzem vom Malteser Hilfsdienst betrieben.
Insbesondere der Zusammenhalt und das Miteinander in der Gesellschaft, die auch bei uns in Deutschland auseinanderdrifte, seien überlebenswichtig, meinte Dr. Batzner. „Wir brauchen Verantwortung, Ethik, Engagement.“ Auf den ausgetretenen Pfaden erreichten wir das Ziel nicht. „Wir müssen neue Wege gehen“, appellierte der Schulamtsdirektor.
Gleichzeitig sollte jedoch nicht alles, was die Pandemie mit sich gebracht hat, wieder über Bord geworfen werden: „Die Lockdowns hatten auch etwas Positives“, meinte Schulsozialarbeiter Alexander Vees. Zum Beispiel: die vorangeschrittene digitale Kompetenz, argumentierte eine Bildungsakteurin aus dem Plenum. Alles in allem war man sich einig, dass wir gemeinsam mit mehr Optimismus diese neuen Wege beschreiten sollten.