Nachhaltigkeit: Steinwüste statt Paradies?

von:

„Das Paradies war ein Garten. Wie kann es sein, dass es heute Menschen gibt, die ihr eigenes Stückchen Paradies als Last empfinden und den Garten zupflastern?“ Kopfschüttelnd steht Dieter Gaissmayer vor einem mit Pflastersteinen und Betonelementen gestalteten besser: mit grobem Schotter verunstaltetem großen Hinterhof, der einmal ein blühender Garten war. „Sowas heißt nicht Steingarten“, stellt er klar: „Ein Steingarten ist was Bepflanztes. Das hier ist eine Schotterwüste.“ Diese Art der „Gartengestaltung“ scheint jedoch gerade in Mode zu sein. Als Gründer der „Stiftung Gartenkultur“ und des „Museums der Gartenkultur“ hat der Illertissener Staudengärtner Dieter Gaissmayer schon vor Jahren diese Entwicklung kommen gesehen und hat gemeinsam mit etlichen Mitstreitern die Initiative „Entsteint Euch“ ins Leben gerufen.

Der Illertisser Staudengärtner Dieter Gaissmayer will die Erde lebendig erhalten Fotos (5): sgg


Der Boden ist ein lebender Organismus“, erklärt Dieter Gaissmayer: „In einem Liter Boden sind mehr Lebewesen, als es Menschen auf der Erde gibt! Die müssen wir hegen und pflegen und gut zu ihnen sein, denn sie sind die Voraussetzung dafür, dass auf dem Boden etwas wachsen kann – Blumen oder unsere Nahrungsmittel.“ Wer seinen Garten mit Schotter und Steinen zupflastert (mit einem Vlies gegen „Unkraut“ darunter), „der tötet alles Bodenleben ab“, warnt Gaissmayer: „Der Kies drückt auf den Boden, Millionen und Abermillionen Lebewesen sterben ab und wandern mit dem Regen als zusätzliche Stickstoffbelastung ins Grundwasser.“
Gerade angesichts des Klimawandels sei dieser Trend völlig widersinnig, argumentiert der engagierte Gärtner: „Pflanzen atmen den Sauerstoff aus, den wir brauchen, binden CO2 und kühlen in der Hitze; Schotterwüsten machen gar nichts für uns, sie strahlen nur zusätzliche Hitze ab.“
Sicher wird es den Schotterwüsten-Besitzern irgendwann auffallen, dass es keine Freude mehr macht, in diesem „UnGarten“ zu sitzen. Ihn dann wieder zu begrünen, ist aber nur noch mit erheblichem Aufwand möglich: Es reicht nicht, nur den Schotter und das Vlies wegzunehmen; der tote Boden muss aktiv wieder mit Leben gefüllt werden. Dazu braucht es Bodenaktivator, Kompost, Gründüngung und Geduld.

„Das Paradies ist ein Garten.“


Viel besser ist es, das Leben im Boden von vornherein zu erhalten. Dafür setzt sich Dieter Gaissmayer mit seiner Initiative „Entsteint Euch!“ ein. So plakativ wie die Homepage „Gärten des Grauens“ eines Berliner Biologen will er nicht vorgehen. Er setzt auf Aufklärung und Lob:
Die Initiative „Entsteint Euch“ hat Postkarten drucken lassen, die jeder selbst bei seinen Spaziergängen dort einwerfen kann, wo ihm ein Garten aufgefallen ist: Für Schotter-“Gärtner“ stehen auf der Karte ein paar Gedanken darüber, was sie in ihrem Garten alles nicht tun können (Insekten beobachten, Blumen pflücken…), für besonders schöne Gärten gibt es eine Karte mit ausdrücklichem Lob. „Ein grüner Garten ist ja auch eine soziale Tat“, gibt Dieter Gaissmayer zu bedenken: „Die Pflanzen sind gut fürs Klima, für den Artenschutz, für die Luft, die wir atmen, und der Anblick erfreut die Menschen.“ alg

„Ein Steingarten ist etwas bepflanztes.“

Bildungsziel „Gärtnern“

„Der Bezug zu Pflanzen wird in der Kindheit angelegt“, weiß Dieter Gaissmayer: „Bei meinen Vorträgen frage ich oft, wer von den Zuhörern seinen Bezug zum Garten erst später entwickelt, also nicht aus der Kindheit mitgebracht hat – da meldet sich kaum je einer.“ Umgekehrt folgt daraus, dass, wer als Kind keinen Bezug zum Garten entwickelt hat, sich wohl auch später nicht für Gartenthemen interessiert. Mit dem Nachkriegs-Wirtschaftswunder sind Landwirtschaft und Gärtnern aus der Mode gekommen. „Deshalb gerät das jetzt so aus den Fugen“, ist sich Gaissmayer sicher, „und deshalb wäre es ein ganz wichtiger gesellschaftlicher Auftrag, die Kinder wieder an diese Materie heranzuführen.“ Den Umgang mit Natur, Garten und Pflanzen zu lernen sei für Kinder genauso wichtig wie der Umgang mit dem PC. Im Gegensatz zur überall geforderten „Digitalisierung“ der Schulen höre er aber kaum Forderungen nach einem Schulgarten. Seiner Ansicht nach müsste jede Schule jeder Schulart mit allen Klassen einen Garten bewirtschaften: „Das geht nur indem man es in den Lehrplan schreibt.“ Solange das nicht so ist, seien die Kinder auf vernünftige Mitmenschen angewiesen: „Eltern, Großeltern, Nachbarn – wer immer Kinder für Pflanzen interessiert, fördert die Zukunft“, erklärt Gaissmayer: „Können Sie sich ein humanes Leben in Zukunft vorstellen ohne daß die Menschen einen Bezug entwickeln können zu Natur und Pflanzen?“

„So etwas ist kein Steingarten, sondern eine Schotterwüste.“

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit: Wilder Radler-Pulk