„Die Inklusion gleicht einem Regenbogen, der in der Mythologie symbolisch für Brücke, Vermittlung und Verbindungsweg steht.“ Diesen Vergleich zog Elisabeth Holand, im Staatlichen Schulamt zuständig für die Inklusion an den Grund-, Mittelschulen und Förderschulen im Landkreis Neu-Ulm, bei der Eröffnung der Inklusionsberatungsstelle. Die neue Einrichtung, die sich vor allem an Eltern von Kindern mit Behinderung oder Verhaltensauffälligkeit, aber auch an Lehrer und Schulen richtet, hat zwei erfahrene Mitarbeiterinnen: die Förderschullehrerin Liane Bieniasz und die Schulpsychologin Claudia Wittig.
Die beiden Expertinnen werden von nun an jeden Dienstag von 11.30 bis 12.30 Uhr und jeden Donnerstag von 12.30 bis 13.30 Uhr sowie nach Vereinbarung für Beratungsgespräche zur Verfügung stehen. Ihr Büro befindet sich in den Räumlichkeiten des Staatlichen Schulamts beim Lessing-Gymnasium in Neu-Ulm.
„Unsere Schwerpunkte liegen auf Lernen, Sprache, Wahrnehmung, Motorik und Verhalten“, erläuterte Liane Bieniasz bei der Eröffnungsfeier in der Aula der Peter-Schöllhorn-Mittelschule in Neu-Ulm. Die Diagnose, ob bei einem Kind ein so genannter sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt, und die langfristige Fallbegleitung gehörten nicht zu den Aufgaben der neuen Beratungsstelle, schränkte Claudia Wittig ein. Den Eltern würden – jeweils maßgeschneidert auf ihr Kind – nur Informationen und Ratschläge gegeben; „niemals entscheiden wir selbst“, betonten Bieniasz und Wittig.
Zu entscheiden, welcher Bildungsweg – Inklusion oder Förderschule – für ihr Kind der beste ist, obliegt im Wesentlichen den Eltern. „Das Elternentscheidungsrecht ist in den letzten Jahren gewachsen“, erklärte der fachliche Leiter des Staatlichen Schulamts im Landkreis Neu-Ulm, Dr. Ansgar Batzner.
Im Landkreis Neu-Ulm werden im laufenden Schuljahr 2015/16 etwa 300 Schülerinnen und Schüler mit diagnostiziertem sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinen Grundschulen unterrichtet. Für die heimischen Mittelschulen gibt es keine aktuellen Zahlen. 2013 besuchten circa 130 Förderschüler die reguläre Mittelschule. Der Anteil der inkludierten Kinder und Jugendlichen an der Gesamtschülerzahl beträgt damit an beiden Schularten jeweils rund 5 Prozent.
Daneben haben die Förderschulen im bayerischen Schulsystem weiter ihre Berechtigung. Sie sind nicht – wie in anderen Bundesländern – abgeschafft worden. Zwar sind laut Batzner inzwischen im Landkreis deutlich mehr Förderschüler im Regelunterricht inkludiert als Förderschulen besuchen, doch letztere haben drei wichtige Funktionen behalten. Landrat Thorsten Freudenberger, der rechtliche Leiter des Staatlichen Schulamts, nannte:
- Als sonderpädagogisches Kompetenzzentrum unterstützen die Förderschulen die Inklusion in den Regelschulen.
- Als eigenständige Lernorte verstehen sie sich als freiwillige Angebote für Eltern und Schülern.
- Als Schulen mit dem Schulprofil „Inklusion“ und/oder in offenen Klassen ermöglichen auch die Förderschulen gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf.
Ebenso wichtig wie die Zusammenarbeit mit den Förderzentren – insbesondere über den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst (MSD) – ist für Schulamt und Schulen die Kooperation mit weiteren Netzwerkpartnern wie beispielsweise der Eingliederungs- und Jugendhilfe, den Erziehungsberatungsstellen, den Therapeutischen Fachdiensten (Ergotherapeuten und Logopäden), den Schul- und Fachärzten, den Schulpsychologen, der Arbeitsagentur oder den Wohlfahrtsverbänden.
Alle arbeiten am selben Ziel: die Benachteiligung der behinderten oder verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schüler zu überwinden. „Es gibt keine Norm fürs Menschsein“, sagte Elisabeth Holand und zitierte den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Es ist normal, verschieden zu sein.“
Die Inklusionsberatungsstelle des Staatlichen Schulamts Neu-Ulm ist unter der Telefonnummer 0731/97484-18 oder per E-Mail an: beratung.inklusion@lra.neu-ulm.de zu erreichen.
INFO: Inklusion
Inklusion heißt wörtlich übersetzt Zugehörigkeit, also das Gegenteil von Ausgrenzung. Wenn jeder Mensch – mit oder ohne Behinderung beziehungsweise Verhaltensauffälligkeit – überall dabei sein kann (in der Schule, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel, in der Freizeit) dann ist die Inklusion gelungen. Das Ideal der Inklusion ist, dass die Unterscheidung „behindert – nicht behindert“ nicht mehr relevant ist.
Inklusion ist seit 2008 ein Menschenrecht, das in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben ist. Auch Deutschland hat diese Vereinbarung unterzeichnet und damit für sich verbindlich anerkannt. Mit der Umsetzung der Inklusion stehen wir freilich noch am Anfang eines langen Prozesses.
In Deutschland ist Inklusion bislang vor allem in der Schule ein Thema. Das Modell der „inklusiven Schule“ beschreibt eine Schule, die sowohl behinderten als auch nicht behinderten Schülerinnen und Schülern einen gemeinsamen Unterricht in derselben Klasse ermöglicht. Aufgabe des Bildungssystems ist es, einzelne Lernende besonders zu unterstützen und zu fördern, indem es spezielle Mittel und Methoden bereitstellt. Nicht das Individuum muss sich also an ein bestimmtes System anpassen, sondern das System muss umgekehrt die Bedürfnisse aller Lernenden berücksichtigen und sich gegebenenfalls anpassen.