Hattie im Alltag

„Lehrer in den Mittelpunkt“

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Alle Schülerinnen und Schüler wie auch die, die es einmal waren, wissen aus eigener Erfahrung: Es gibt gute Lehrer, und es gibt schlechte. Die Qualität bemisst sich dabei nicht unbedingt an der Beliebtheit bei den Schülerinnen und Schülern, sondern vielmehr an deren Lernerfolg. Dass dieser wiederum tatsächlich ganz entscheidend vom Lehrer abhängt, hatt der australische Wissenschaftler Hattie nachgewiesen. Seine Erkenntnisse waren Thema einer Podiumsdiskussion im Wolfgang-Eychmüller-Haus in Vöhringen.

Zunächst erläuterte Klaus Zierer, der Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, die Erkenntnisse des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie, dessen aufsehenerregende Studie er ins Deutsche übersetzt hat. Anschließend moderierte Sonja Seger, die Referentin der Bildungsregion, eine Podiumsdiskussion mit Zierer, Preuschoff, Landrat Thorsten Freudenberger, Schulamtsdirektor Dr. Ansgar Batzner und der Leiterin der FOS/BOS Neu-Ulm, Dr. Maike Tholen vor rund 150 Zuhörern.

„Auf den Lehrer kommt es an, weniger auf die Strukturen“ lautet die Kernthese von John Hattie. Im merkwürdigen Gegensatz dazu stehen die Schulreformen in Bayern seit der PISA-Krise und – so stellte Landrat Freudenberger fest – auch die Anerkennung der Lehrerinnen und Lehrer in der Öffentlichkeit. Freudenberger, selbst 14 Jahre lang Gymnasiallehrer, kritisierte, dass über die Qualitätsaspekte des Lehrerberufs nicht offen gesprochen werde – weder im Kollegenkreis noch in der Bildungspolitik und -verwaltung. Personalentwicklung für Lehrerinnen und Lehrer finde kaum statt. In der Lehrerausbildung und -beurteilung stecke „viel zu viel Ideologie“; Lehrer erhielten nicht genügend eigene Entwicklungs- und Entfaltungsspielräume. Freudenberger berichtete etwa von einer Lehrprobe, nach der ihm vorgehalten worden sei: Ein Unterricht ohne Powerpoint-Präsentation sei per se ein schlechter Unterricht.

Professor Zierer nannte ein ähnliches Beispiel: Nach Ansicht der Ministerialbürokratie zeichne eine gute Unterrichtsstunde aus, dass der Lehrer darin möglichst viele verschiedene Lehrmethoden anwendet. „Dabei ist doch nicht die Methodenvielfalt entscheidend, sondern ob die Schüler kapieren, was ihnen der Lehrer erklärt.“ Insofern könne auch der angeblich nicht mehr zeitgemäße Frontalunterricht auch schon mal die richtige Methode sein, so Zierer.

Der fachliche Leiter des Staatlichen Schulamts, Dr. Ansgar Batzner, war sich „sehr sicher“, dass im Unterrichtsalltag an den Grund- und Mittelschulen im Landkreis Neu-Ulm „ganz viel von Hattie schon umgesetzt wird“: „Wir haben viele gute Lehrer“, die nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz ihrer Schülerinnen und Schüler ansprächen. Das Erreichte „sollte man auch wertschätzen“, so Batzner.

Dr. Maike Tholen meinte, es könne nicht alles falsch sein, was bisher in den Klassenzimmern gelaufen sei. Sie wünschte sich mehr „Stabilität und Kontinuität“, gepaart mit der Bereitschaft, „noch besser zu werden“. So sollten in den Fortbildungen mehr der Lehrer und sein Einfluss auf die Schüler in den Mittelpunkt gestellt werden und weniger die Strukturen. Außerdem gefiel Tholen Hatties Ratschlag, die Lehrer sollten den Unterricht mit den Augen der Schülerinnen und Schüler sehen.

Roland Denninger, der Personalratsvorsitzende der Grund- und Mittelschullehrer im Landkreis Neu-Ulm, meldete sich aus dem Publikum zu Wort. Er meinte, für Hattie gelte es erst die Voraussetzungen zu schaffen, indem man die Lehrerinnen und Lehrer von „falschen Belastungen“ befreie und ihnen mehr Selbstverantwortung übertrage. Professor Zierer stimmte zu: „Die Kontrollsucht des Staates über die Lehrkräfte treibt manch wilde Blüte.“ Die Lehrkräfte müssten „zu viel nicht Notwendiges“ machen.

Dr. Jürgen Preuschoff stellte die Frage: „Was wollen wir aus dieser Veranstaltung lernen? Was können wir ändern?“ Landrat Freudenberger bemerkte dazu, dass es nun zuerst an den anwesenden Lehrerinnen und Lehrern sei, die neuen Impulse und Ideen mit in ihre schulische Realität zu nehmen. Bildungsreferentin Seger schloss mit dem Fazit: „‘Auf den Lehrer kommt es an‘ heißt nicht, der Lehrer ist an allem Schuld.“ Es gelte vielmehr, die Lehrer in den Mittelpunkt zu stellen und auch in ihrer wichtigen Arbeit  zu unterstützen.