Im Kindergarten aktiv gegen Alltagsrassismus

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Rassistische Denk- und Handlungsmuster im Kindergarten- und Kita-Alltag sind an der Tagesordnung. „Wie bitte? Das ist nun aber wirklich übertrieben“, meinen Sie?

Das Tragische ist, dass Weiße diesem vielschichtigen System der institutionalisierten Ungerechtigkeit so verhaftet sind, dass rassistisches Denken und Handeln teilweise völlig unbewusst geschieht (Alltagsrassismus). Eine Aufklärung von Erzieher:innen ist erst im Ansatz vorhanden und „antirassistische“ Kindergärten mit geschulten Fachkräften sind die Ausnahme. Noch.

Eltern, aber auch Pädagog:innen und Erzieher:innen, sind gefordert, eine proaktive Haltung einzunehmen: Rassismus zu erkennen, zu reflektieren, sich selbst und andere zu sensibilisieren und jeglichen Rassismus unverzüglich zu unterbinden. 

Wer ist an Rassismus schuld?

Rassismus ist die Diskriminierung von Menschen aufgrund äußerlicher oder ethischer Merkmale, ein irrationaler Hass auf das „Anderssein“. Rassismus gibt es seit Hunderten von Jahren. Doch erst der Kolonialismus und der damit verbundene Sklavenhandel führten dazu, dass sich weiße Menschen (Europäer) Menschen mit anderen Hautfarben überlegen fühlten. 

Immer wieder gab und gibt es zudem Menschen, die auf (rechts)populistischem Wege eine angebliche Überlegenheit der Weißen behaupten. Selbstverständlich findet sich dafür nicht ein einziger biologischer oder medizinischer Beweis. Es gibt keine menschlichen Rassen! Dazu sei die menschliche Genetik viel zu einheitlich, statuierten vor einigen Jahren Wissenschaftler:innen verschiedener Fachbereiche. 

In rechtsextremen Kreisen wird Rassismus seit den 50er Jahren mit kulturellen Faktoren begründet, woraus sich das zynische Konzept ableitet, dass „Ethnien in ihrem Kulturkreis verbleiben sollen, um deren Eigenheiten zu bewahren“ (Für kritische Leser:innen ein kritischer Blick auf Henning Eichberg, seinerzeit Wortführer der „Neuen Rechten“ und prägender Befürworter einer „regionalen Identität“).

Rassismus in Deutschland

Deutschland war schon immer ein Einwanderungsland. Ob es die Hugenotten im 17. Jahrhundert waren, die Vertriebenen (14 Mio.) aus den ehemaligen Ostgebieten Deutschlands, die sog. „Gastarbeiter“ (3 Mio. verblieben in Deutschland nach 1973) aus Südeuropa in Zeiten des Wirtschaftswunders oder die geflüchteten  Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien.

In Deutschland leben aktuell ca. 84,3 Millionen Menschen, davon ca. 12 Millionen Ausländer:innen und insgesamt 22,6 Millionen (Destatis) Menschen mit Migrationshintergrund, allein 1 Million Zuwander:innen im Jahr 2022. In vielen Grundschulklassen sind Kinder mit Migrationshintergrund in der Mehrheit. In manchen Stadtteilen ist das Straßenbild von Menschen geprägt, die fremde Sprachen sprechen und kulturelle Gewohnheiten haben, die sich von dem unterscheiden, was hierzulande als “Norm” definiert wird. In Teilen der Gesellschaft herrschen Angst vor Überfremdung, Angst vor dem Unbekannten, vor sozialen Problemen, vielfach angeheizt durch rechte Sprecher. Und das trotz aller Aufklärung durch Bund und unzählige Initiativen. 

Was können wir, jede:r einzelne von uns, daran ändern?

Prägende Phase im Kindergarten

Kinder bis ca. drei Jahre akzeptieren Menschen, wie sie sind und aussehen. Ab dann können sich Vorurteile ausbilden, denn Kinder nehmen Dinge, Prozesse und Menschen bewusster wahr und suchen bei Erwachsenen und Älteren Vorbilder und Erklärungsmuster. Warum jemand eine andere Hautfarbe hat, andere Kleidung trägt oder in verschiedenen Situationen ein anderes Verhalten als sie selbst zeigt. Im Rahmen ihrer Sozialisierung schaffen sie sich ihre Welt, ihre Erklärungen, ihre Denkmuster. 

Ab dem Eintritt in die Schule nimmt dies aufgrund wachsender sozial-kognitiver Fähigkeiten wieder ab (Albert Bandura, sozial-kognitive Fähigkeit: Erlernen von Verhaltensweisen durch Beobachtung). Um Kinder vorurteilsfrei und antirassistisch zu erziehen, ist die wichtigste Phase also genau die Zeit im Kindergarten und um den Schuleintritt, bis etwa 7 Jahre. Somit kommt Erzieher:innen (neben den Eltern) eine besondere Rolle im Sozialisierungsprozess zu. 

Woran erkennt man Alltagsrassismus bei Erwachsenen?

In Deutschland hatten 2022 ca. 40% der Kinder unter sechs Jahren einen Migrationshintergrund. Etwa jedes fünfte Kind im Kindergarten spricht eine andere Sprache als Deutsch. – 

Da das Thema Rassismus kein umfassender Grundbestandteil in der Aus- und Weiterbildung von Erzieher:innen ist, sind sich einige Erzieher:innen rassistischer Verhaltensweisen mitunter gar nicht bewusst. So rutschen manche Äußerungen unbedacht heraus, andere „sind doch gar nicht böse gemeint“. Aber sie verletzen das Kind. Und das darf nicht passieren.

Woran erkennt man (bei sich selbst) Alltagsrassismus im Umgang mit Kindern einer anderen Hautfarbe?

Typisch sind Aussagen/Fragen wie:

  • Den Namen eines Kindes nicht korrekt aussprechen (lesen Sie dazu diesen weiterführenden Artikel: Call me by name, Tathuytata).
  • Ausländischen Kindern „Spitznamen“ zu geben, die sich auf ihre Hautfarbe, ihre Herkunft beziehen.
  • Woher kommst du eigentlich wirklich? (Nachdem das Kind gesagt hatte, es komme aus Ulm, Köln oder München …)
  • Du sprichst aber gut Deutsch!”
  • “Darf ich mal deine Haare/deine Haut anfassen?”
  • “Du siehst so türkisch aus, was kocht ihr denn so bei besonderen Gelegenheiten?”

Warum soll das rassistisch sein? 

Solche Fragen und Äußerungen, oft unbedacht in der Gemeinschaft geäußert, bringen das Kind in eine exponierte Situation. Ein Beispiel dafür ist das „Wo kommst du eigentlich wirklich her?“, mit dem viele Menschen anderer Hautfarbe konfrontiert werden. Das Kind soll (vor allen) Rede und Antwort stehen. Das ist verletzend und unangenehm. Oder wird die blonde Anna ebenfalls so nachdrücklich nach ihrer Herkunft gefragt?

Erschwerend kommt hinzu, dass sich bis heute Bücher (Jim Knopf, Robinson Crusoe), Kinderspiele („Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“), Kinderlieder („Alle Kinder lernen lesen, Indianer und Chinesen, selbst am Nordpol lesen alle Eskimos …“) und andere diskriminierende Materialien gehalten haben, die wieder und wieder koloniale Klischees reproduzieren. Eine Vermeidung dieser rassistischen Materialien sollte konsequenter als bisher zur Ausbildung von Erzieher:innen gehören (mehr Informationen und Erklärungen zur Vermeidung rassistischer Materialien). 

Der Rassist in uns (und die Rassist:in) lässt uns Rassismus hautnah erleben – aber anders als gedacht. Eine sehr empfehlenswerte Dokumentation des ZDF!

Schluss mit Alltagsrassismus in Kindergärten

Grundlage für das Handeln gegen Rassismus und für Akzeptanz ist eine gemeinsame Wertebasis im Kindergarten: Bereits im Leitbild sollte ein antirassistischer Standard vorhanden sein, der als Grundlage des pädagogischen Handelns dient.

Eine Methode, sich in Kindergärten mit Rassismus auseinanderzusetzen, ist der Anti-Bias-Ansatz, der zunächst die Wahrnehmung des eigenen Bewusstseins schärft. Bedenken Sie Ihre Vorbildfunktion und nehmen Sie auch die Eltern mit auf dem Weg, sich kritisch mit Alltagsrassismus auseinanderzusetzen.

Aktiv gegen Rassismus im Kindergarten vorgehen

Bereits beim ersten Zusammentreffen von Kindern einer neuen Gruppe sollten Regeln für den Umgang miteinander erstellt werden. Erklären Sie Rassismus und thematisieren Sie Situationen, in denen Kinder sich schlagfertig zur Wehr gesetzt haben. Schildern Sie Situationen, denen sich Kinder anderer Hautfarbe ausgesetzt sehen (Rollenspiele). Haben Sie ein offenes Ohr und hören Sie den Kindern gut zu: Welche Vorurteile wurden einem Kind bereits entgegengebracht? Oder aber: Was erzählt das Kind von Zuhause? Woher stammen Vorurteile und wie werden sie auf der anderen Seite erlebt? Sinnvoll ist ein Projekttag „Hautfarbe“. Ein sinnvolles Lernwerkzeug für einen solchen Projekttag sind die Hautfarben-Buntstifte (male deine Hand oder deine/n Sitznachbar:in)

Die Situation ist eskaliert – ein Kind hat sich rassistisch geäußert oder verhalten

Vier Verhaltensweisen, die Rassismus auf konsequente Art begegnen:

SOFORTMASSNAHMEN

  1. In ruhigem Ton Grenzen setzen. Rassistische Äußerungen und aggressives Verhalten mit „STOPP“ unterbinden. Weisen Sie auf die Regeln hin, erklären Sie die Situation (liebevolle Konsequenz), nutzen Sie ggf. eine Puppe (Persona Dolls) als Gesprächspartner:in von den Kindern.
  • Unterstützen des ausgegrenzten Kindes: Kümmern, Einbinden und Trösten, ggf. aus der Situation herausbringen

SPÄTERES AUFARBEITEN

  • Grund für rassistische Äußerung und/oder Gewalt feststellen: Hergang schildern lassen, mit beiden Parteien (einzeln) sprechen, was war der Grund für die Äußerung, welche Gefühle entstanden in der Situation. 
  • Rassismus thematisieren, besprechen, was man gegen Rassismus tun kann, durch Rollenspiele Empathie fördern (siehe dazu Kooperative Gruppenspiele).

Buchempfehlungen: 

  • Eske Wollrad, 2012: Das Gift der frühen Jahre, Rassismus und Weiße Dominanz in Kinderbüchern, Unrast Verlag
  • Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar, 2021, 3. Ed.: Gib mir mal die Hautfarbe – Mit Kindern über Rassismus sprechen, Beltz Verlag
  • Ogette, Tupoka, 2017: Exit racism. Rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast Verlag.

Werden Sie aktiv

Aus der Arbeit mit den Einrichtungen im Rahmen des Programms WillkommensKITAs ist das Arbeitsmaterial „Wege zur WillkommensKITA – Arbeitsmaterialien für die Kita- und Hort-Praxis“ entstanden, vgl. www.willkommenskitas.de 

Hautfarbe = rosa?

Das gemeinnützige Unternehmen Hautfarben unterstützt Eltern und Erzieher:innen dabei, die neue Generation diversitätsbewusst zu erziehen, ohne Stereotype weiterzugeben.

Hautfarben, mit Sitz in Berlin, verkauft Bunt- und Wachsmalstifte in unterschiedlichen Hauttönen, sowie Malbücher und Grußkarten. Mit den Hautfarben-Stiften malen Kinder sich und ihre Freund:innen so, wie sie wirklich aussehen. 

Zusammen mit einem Freund hatte Malte Bedürftig Ende 2016 beschlossen, etwas gegen die Monotonie in den Buntstiftekästen und die Stereotype in der Kindererziehung zu unternehmen. Das Ergebnis war ein Set mit Buntstiften in 12 unterschiedlichen, repräsentativen Hauttönen. Die Botschaft dahinter: Hautfarbe ist nicht gleich Rosa! Jede:r von uns ist einzigartig und das ist gut so.

Malen ist wichtig für die Rassismusprävention

Malen fördert insbesondere die Feinmotorik, das Vorstellungsvermögen, aber auch die kognitive Entwicklung von Kindern (Transferfähigkeit). In einer Zeit, in der schon kleine Kinder Zugang zu Handy, Smartphone und Tablet haben, ist es daher umso wichtiger für sie, eine der frühen Kulturtechniken zu erlernen, mahnen Wissenschaftlerinnen.

In der Phase bis etwa 7 Jahre bilden sich Meinungen und Denkmuster aus, daher ist die Rassismus-Prävention eine wichtige Aufgabe für Erzieherinnen und Erziehungsberechtigte. Eingebettet in einen antirassistischen Kontext werden Kinder in Kindergärten und Kitas sensibilisiert, ihre Umwelt und die Menschen darin genauer wahrzunehmen. Sie entdecken Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Durch die kreative Auseinandersetzung mit den „Hautfarben-Produkten“ wird Erlebtes, Gehörtes und/oder Gesehenes besser verarbeitet und verinnerlicht. 

“Hautfarben” handelt sozial nachhaltig 

Die Gewinne aus dem Verkauf der Produkte fließen in gemeinnützige Projekte. Aktuell werden unter anderem die folgenden Projekte und Organisationen unterstützt:

Engagierte Newcomer:innen ermöglicht geflüchteten Menschen und Migrant:innen mehr gesellschaftliche Teilhabe.

GoVolunteer bringt soziale Projekte mit Menschen zusammen, die helfen möchten. 

HiMate bringt Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und finanziellen Hintergründen auf Augenhöhe zusammen – unter anderem für gemeinsame Freizeitaktivitäten.

Die Hautfarben-Produkte werden unter fairen Bedingungen und aus nachhaltigen Materialien in Deutschland und Österreich produziert.

Gastautorin Sabine Hensel für Hautfarben-Buntstifte.

www.hautfarben-buntstifte.de