ADHS – Eine Krankheit macht „Karriere“

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Munter, wissbegierig und freundlich  – so wünschen sich viele Eltern und Lehrer das ideale Kind. Aber nicht immer verträgt sich kindliches Verhalten mit den steigenden Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft. Allzu schnell vermutet das Umfeld dann psychische Auffälligkeiten, weiß der Gesundheitsexperte Dr. Wolfgang Reuter von der DKV Deutsche Krankenversicherung. Aber wo verläuft die Grenze zwischen dem „normalen“ Zappelphilipp und einer echten Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), die einer Behandlung bedarf?

ADHS – eine Krankheit macht „Karriere“

Das Phänomen ADHS ist nicht neu, gewinnt aber in den letzten Jahren zunehmend an Brisanz – gilt es heute doch als eine der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Die Fachgesellschaften gehen davon aus, dass diese Entwicklung keiner echten Zunahme der Fälle, sondern eher einer gestiegenen Sensibilisierung von Ärzten und Eltern geschuldet ist. Statistische Erhebungen bringen nur wenig Licht ins Dunkel: Während eine Studie für den Zeitraum zwischen 2006 und 2011 einen Anstieg der ADHS-Patienten um 42 Prozent erkennen will, gehen andere Studien von einer konstanten Quote aus. „Die enormen Unterschiede bei der Bewertung der Krankheit sind typisch für das Phänomen ADHS“, so Dr. Wolfgang Reuter. Eine eindeutige Diagnose ist nicht immer einfach. Doch Fachleute können die Diagnose in der Regel anhand der Zahl und Schwere der Symptome sowie der damit einhergehenden Beeinträchtigungen stellen.

Normal oder doch krank?

Das Problem mit ADHS: Die Symptome lassen sich durch den Laien nur schwer den Kategorien „krank“ oder „normal“ zuordnen. Besonders deutlich zeigt sich das bei der sogenannten motorischen Unruhe. Die Grenze zwischen normalem und übersteigertem Bewegungsdrang bei Kindern und Jugendlichen ist fließend. Feste Werte gibt es nicht, sondern lediglich Richtlinien: Voraussetzung für die ärztliche Diagnose ADHS ist, dass Kinder über mindestens sechs Monate hinweg in den Bereichen Überaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität auffällig sind.

Heilung durch Pillen?

Viele Patienten – darunter eine erschreckend große Anzahl junger Menschen – schlucken Medikamente gegen die Störung. „Hier kann man durchaus von einer Explosion sprechen: Von Methylphenidat, dem Wirkstoff des ADHS-Medikaments Ritalin, gingen 1993 34 Kilogramm über die Apothekentische. 2011 waren es schon 1.791 Kilogramm“, so der DKV Experte. „Medikamente scheinen bei der Behandlung von ADHS also erste Wahl zu sein.“ Doch dieses Verfahren kann gravierende Nebenwirkungen wie etwa Herzrhythmusstörungen, Krampfanfälle, Übelkeit und sogar Depressionen auslösen. Dr. Wolfgang Reuter rät daher, den Einsatz von Medikamenten sorgfältig zu überdenken und Alternativen in Betracht zu ziehen. Wichtig ist in jedem Fall die Einbettung in einen umfassenden Therapieplan.

Klare Regeln, feste Strukturen, eindeutige Ansagen

„Längst nicht jedes betroffene Kind braucht Medikamente“, zeigt sich der Gesundheitsexperte überzeugt. „Eltern und Lehrer können auch ohne Pillen eine Menge tun.“ Schon ein reizarmes Klassenzimmer und ein Platz in der ersten Reihe können die Konzentration verbessern. „Auch sollte sichergestellt sein, dass die Kinder sich täglich austoben können. Ist der Bewegungsdrang gestillt, fällt ihnen das Stillsitzen wieder leichter.“ Zuhause sind klare Regeln und feste Strukturen unerlässlich. „Dazu gehören klare Ansagen der Eltern: Bis hierher und nicht weiter. Ausnahmen und ausufernde Diskussionen sind dagegen eher kontraproduktiv“, rät Dr. Wolfgang Reuter. In schwierigen Fällen unterstützen Verhaltens-, Ergo- und Psychotherapien das Kind dabei, besser mit seiner Umwelt zurechtzukommen. Eine Familientherapie kann zusätzlich sinnvoll sein. Vor allem aber sollte viel gelobt werden, um das Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken. Für besondere Erfolge können als Ansporn Belohnungen vereinbart werden. Außerdem tut es Kindern gut, Verantwortung zu übernehmen, selbst wenn sie den Aufgaben zunächst nicht gerecht werden: Wochenpläne zum Beispiel können neben täglichen Zeiten für Essen oder Hausaufgaben auch einfache Pflichten wie das Tischdecken umfassen. „Wichtig ist vor allem, die Geduld zu bewahren“, erklärt Dr. Wolfgang Reuter. „Es muss nicht alles vom ersten Tag an klappen. Schließlich brauchen alle Kinder etwas Zeit, um sich an neue Regeln zu gewöhnen.“