Bilder des Friedens

von:

„Frieden“ ist die Ausstellung mit Gemälden von Hans-Harald Grote überschrieben, die von September bis Dezember 2023 im Familienzentrum Neu-Ulm zu sehen ist. Die Gemälde hat dessen Nichte Almut Grote nach Neu-Ulm geholt. Anlass für die Ausstellung ist das 18-jährige Bestehen des Familienmagazins „Kinder in der Stadt“. Den Zusammenhang erläuterte sie in ihrer Eröffnungsrede, die hier in voller Länge nachzulesen ist:

„Es erschließt sich wahrscheinlich nicht auf den ersten Blick, was der 18. Geburtstag eines Familienmagazins mit den Bildern einer Ausstellung zum Thema „Frieden“ zu tun hat. Lassen Sie es mich Ihnen erklären:

Fragen nach sozialer Gerechtigkeit haben mich schon als Kind immer sehr beschäftigt. Ich erinnere mich noch, wie ich auf einer längeren Autofahrt vom Rücksitz aus meine Eltern fragte, warum die Waren in den Geschäften nicht einfach kostenlos an alle abgegeben werden könnten. Ja, sie lachten und meinten, ich sei gerade auf den Kommunismus gekommen.

Später, in der Schule, organisierte ich einen Kuchenverkauf gegen Hunger in Somalia – das war mal eine richtig paradoxe Kombination – und konnte im Religionsunterricht gar nicht, wie die anderen, in Ruhe „Schiffe versenken“ spielen, weil ich immer mit dem Lehrer diskutieren musste.

Und als ich als Lokaljournalistin im Ulm bei der Tageszeitung arbeitete, wurde mir der soziale Bereich zwar vor allem deshalb zugeschoben, weil ich die einzige Frau in der Redaktion war; mir war das aber sehr recht, weil mich genau diese Themen am meisten interessierten und ich versuchte, mit meinen Artikeln etwas zu bewegen – von der Vorstellung einzelner Schicksale für „Ulmer helft“ bis zur Sonderseite über Methadon-Substitution. Und egal, von welchem Problem ausgehend ich dessen Wurzel suchte: Sehr oft kam ich zu dem Schluss, dass eine gute, gesunde Kindheit in einer liebevollen, fördernden Umgebung und mit unbegrenzten Bildungschancen viel Leid, Streit und Kampf hätte verhindern können.

Umso frustrierender war es für mich, dass die Tageszeitung damals keinerlei Hilfestellungen für Eltern veröffentlichen wollte. Das hat sich inzwischen ja um 180 Grad gedreht, aber damals, in den 80er und 90er Jahren, wurde zum Beispiel ein Vortrag zu einem Erziehungsthema höchstens im Terminkalender angekündigt, aber keinesfalls inhaltlich darüber geschrieben.

Deshalb stand für mich, nachdem die Redaktion in Ulm Ende 2003 geschlossen worden war, relativ bald fest, dass genau diese Hilfestellungen für Eltern meine künftige Aufgabe sein würden. Es dauerte natürlich eine Weile, bis das Konzept stand, aber zum 1. Oktober 2005 habe ich mein Gewerbe als Verlag und Werbeagentur angemeldet und im März 2006 das erste Heft, damals noch im Format DIN A 5, herausgebracht – als meinen persönlichen Beitrag zu – hoffentlich – etwas mehr Chancengerechtigkeit, besserer Bildung schon von Haus aus und damit auch zum Frieden.

Und damit sind wir bei dieser Ausstellung:

Die Ausstellung zum Thema „Frieden“ mit den Bildern von Hans-Harald Grote hatte ich zunächst unabhängig von diesem Jubiläum schon seit mehreren Jahren im Kopf. Konkret und dringend wurde der Plan seit dem 24. Februar 2022, und der 18. Jahrestag meines ersten großen Gerechtigkeitsprojekts namens Elternzeitung bietet mir jetzt den passenden Anlass dafür.

Das Thema

„Frieden“ darzustellen ist ja gar nicht so einfach. Das illustriert zum Beispiel dieses Gedicht – ausgerechnet aus einem sowjetischen Schulbuch, vom in Belarus und der Ukraine aufgewachsenen sowjetischen Autor Samuel Marschak (1887 – 1964). Ich hab das mal übersetzt – etwas frei, damit es sich reimt, aber der Sinn bleibt natürlich erhalten:

Gespräch mit dem Enkel

Vom Hof ruf ich mein Enkelkind

Zum Fenster her ein Stück

„Sag mir, was das für Spiele sind!“

„Wir spielen Bürgerkrieg!“

„Was – Krieg? Fangt sowas gar nicht an!

Hör zu, mein Herr Major:

Den Krieg braucht weder Frau noch Mann.

Spielt lieber Frieden vor!“

Gehorsam nickt der Bub und geht.

Dann bleibt er plötzlich steh’n

Und dreht sich um und fragt diskret:

„Wie soll denn Frieden geh’n?“

Die Zeitung lese ich und denk:

Hört auf, mit Krieg zu zündeln,

damit die Kinder das Geschenk

des Friedens-Spiels erfinden!

Samuel Marschak

Natürlich war das Ziel des Gedichts, die Bevölkerung vom Aufbegehren abzuhalten; trotzdem entsteht doch eine gewisse – sagen wir mal – Spannung, wenn man es im aktuellen Kontext liest. Mir geht es hier jedoch um etwas anderes, nämlich um die Beschreibung, wie schwer Frieden darzustellen ist: „Wie soll denn Frieden geh’n?“

Mit dem Frieden ist es ja wie mit der Gesundheit: Erst das Fehlen fällt auf. Und das ist – in beiden Fällen – sehr schade und führt oft zur Vernachlässigung. Wie die eigene Gesundheit zu pflegen ist, darüber gibt es massenweise Ratgeber, die gern gelesen und mehr oder weniger befolgt werden. Die eigene Gesundheit zu spüren, ist immerhin möglich, wenn man sich auf den Körper konzentriert. Den inneren Frieden finden manche in der Meditation.

Im Außen nehmen wir hingegen Frieden kaum wahr. Unsere Wahrnehmung ist auf Aktivität focussiert, und insbesondere auf Störungen. Wenn etwas herunterfällt, zerbricht, ein Luftballon platzt, wenn Leute streiten, ein Auto hupt, die Straßenbahn klingelt, ein Unfall passiert: Da horchen wir auf, da gucken wir hin. Evolutionsbiologisch sinnvoll und manchmal lebensrettend, klar.  Leider verlieren wir dabei etwas sehr Wichtiges und Kostbares aus den Augen: Den Sinn für Ruhe und Frieden. Und würde uns jemand so wie der Enkel im Gedicht fragen, wie denn Frieden aussehe – wem würde da nicht zuallererst einfallen, wie er NICHT aussieht, wem würden da nicht als erstes die Bilder von zerstörten Häusern und fliehenden Menschen in den Sinn kommen?

Die Bilder von Harald Grote helfen uns, uns bewusst zu machen, wo wir täglich den Frieden entdecken und erleben können: Jedes Haus, das stolz und unversehrt seine Bewohner schützt, jeder Bahnhof, in dem ganz normale Pendler und Reisende auf ihren Zug warten, jede Landschaft, in der Menschen sich angst-frei bewegen können, ohne den Boden nach Minen und den Himmel nach Drohnen abzusuchen… Ich brauche es Ihnen nicht zu erzählen. Wenn Sie sich die Bilder anschauen im Bewusstsein des Ausstellungstitels „Frieden“, werden die kontrastierenden Fotos aus den Nachrichten vor ihrem inneren Auge auftauchen, und der friedliche Anblick auf dem Gemälde bekommt einen tieferen Sinn.

Es ist genau diese Wahrnehmung, die Hans-Harald Grote in seinen Gemälden ausdrückt.

1938 geboren, wurde er als kleiner Junge aus dem brennenden Berlin gerettet und hat seitdem einen ausgeprägten Sinn für die Schönheit des friedlichen Alltags, die er seitdem in unzähligen Varianten auf Leinwand, Karton und Holz eingefangen hat. Der Focus seines Werks liegt auf Porträts, Figuren, Landschaften und Stillleben in Öl, Aquarell und Pastell.

1961 wanderte er in die Vereinigten Staaten aus. Seine Architekturausbildung dort umfasste Zeichnen, Malen, Bildhauerei und Filmproduktion. Als in der Architekturpraxis zunehmend Computer als Zeichenwerkzeuge eingesetzt wurden, wandte er sich in seiner Freizeit verstärkt der künstlerischen Malerei zu und besuchte verschiedene Kurse für Zeichnen, Malen und Bildhauerei, unter anderem im Fleisher Memorial Institute und im Woodmere Art Museum. Bis heute arbeitet er fast wöchentlich mit den Absolventen der Pennsylvania Academy of Fine Arts.

Alle hier gezeigten Ölgemälde sind „alla prima“ entstanden. Das bedeutet, sie werden direkt vor Ort an einem Stück gemalt und nicht mehr verändert. Das Faszinierende an dieser Malweise beschreibt der Künstler so: „Jedes Gemälde ist ein Abenteuer: Es ist eine Interaktion zwischen dem Künstler und dem Motiv, aus der eine neue Kreation entsteht – ein Zusammenspiel von Licht, Farbe und Textur – einzigartig für den Moment. Teil eines solchen Augenblicks zu sein bedeutet, ganz lebendig zu sein.“